Die ersten Jahre in Westberlin

28.3.2001

Juppy und die ufaFabrik:

"Der größte Postraub in der Geschichte Deutschlands",
oder: "... dass Menschen nach Menschen gucken".

Aus:

West-Berlin! Die Kultur – die Szene – die Politik

Olaf Leitner, Schwarzkopf Verlag

OL:

Meine Güte B Tempelhof! Ach Juppy, das ist der Bezirk, den ich am wenigsten leiden kann. Da drüben, hinter dem Kanal, bin ich aufgewachsen... Früher gab es hier viele Kinos: das Tivoli, das Gaby, das Alhambra, genannt die Flohkiste, das Mali, das DKL, das Luxor, den Südpalast, das Tefi. Die meisten endeten als Supermarkt, die Flohkiste wurde Tagungsstätte für die Zeugen Jehovas. Dann war hier Jahrhunderte lang tote Hose. Und eines Tages kamt Ihr mit der ufaFabrik ausgerechnet hier her!

Juppy:

Wir wollten ja erst nicht nach Tempelhof, wir hatten zwei Fabriketagen in der Oranienstraße, mitten in Kreuzberg, dort haben wir gewohnt und ein Kulturcentrum 1976 in der Kurfürstenstr. in Schöneberg aufgebaut, die „Fabrik für Kultur, Sport und Handwerk“. Zu dieser Zeit, da war`s in Kreuzberg, wie heute in Mitte. Da ziehste nicht so einfach weg. Dann haben wir uns doch nach etwas Neuem umgeguckt, weil wir uns vergrößern mussten. Wir haben uns überlegt, wir bauen uns eine Welt der kurzen Wege, eine kleine Stadt in der Stadt. Wir wollten einen Platz haben, wo wir wohnen können, unsere Arbeit machen, und wo wir ein Kulturzentrum machen können. Kultur, Leben, Arbeit, Ökologie und Sport, wie Aikido, Karate und Thai Chi, eben alles, was der Mensch so braucht – alles auf einem Platz. Dann haben wir uns erst nach 'nem Haus in Kreuzberg umgesehen, was wir haben wollten, die ehemalige Prakma Fabrik in der Waldemarstr. Die wurde dann sozusagen vor unseren Augen abgerissen, obwohl dagegen eine einstweilige gerichtliche Verfügung eingereicht war. Daraufhin haben wir damals gesagt, OK, wenn das so ist, gehen wir das nächste Mal erst hin und dann fragen wir. Mit diesem Geist ist die Besetzung der ufaFabrik entstanden. Deshalb haben wir auch nie "besetzt!" gesagt, sondern immer nur: "Wieder friedlich in Betrieb genommen". Von ehemaligen Rockmusikern haben wir den Tipp bekommen, dass dieses historische ufaGelände seit Jahren leer steht und am Verrotten ist. Wir haben lange überlegt. Erst wollten wir uns das Gelände gar nicht angucken, wegen dem konservativen Tempelhof.

OL:

Das hat Euch abgeschreckt.

Juppy:

'Türlich! Aber dann haben wir uns das doch angeguckt, und da war uns schnell klar das ist eine Verpflichtung! Der ganze Platz mit seinen 7 Gebäuden war für unsere Ideen bestens geeignet und es galt, der Stadt ein Stück Geschichte zu erhalten. Die Geister der alten Ufa waren ja alle hier, wie Marlene Dietrich, Fritz lang u.v.m. Bertelsmann hat zwar alle Ufa-Filme aufgekauft und der Kinoketten-König Riech die ganzen Ufa-Filmtheater, aber die Geister der Ufa, die gehören uns! Hier wurde entwickelt, kopiert, synchronisiert und hier wurden die Filme das erste Mal gezeigt, bevor sie überhaupt Premiere hatten. Im „ersten Leben der Ufa“ waren in dem alten Filmbunker, der ehemaligen Schatzkammer des deutschen Films, Träume auf Celluloid gelagert, heute im „zweiten Leben der ufa“ proben dort Künstler der ufaFabrik, um ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen.
Wir hatten mit der ufaGeschichte damals den Vorteil, dass jeder Journalist gleich einen schönen Titel hatte: Neues Leben in alter Traumfabrik! Dazu ist jedem ein toller Bericht eingefallen! Aber es bedurfte zu dieser Zeit, 79, auch ein grosses Geschick ein Gelände von 18.566 qm, mitten in Berlin zu erobern. Schliesslich war es der grösste „Postraub“ in der Geschichte Deutschlands. Das Gelände gehörte zu der Zeit der Deutschen Bundes Post und die waren gerade in Verhandlung mit dem Land Berlin, um es zu verkaufen.
Unsere größten Unterstützer damals waren Freunde und Bekannte und die Berliner Presse und dadurch die Öffentlichkeit. Besonders der SFB, mit Fernsehen und Radio, hat super über uns berichtet. Nachdem wir Samstagabend in dem SFB Magazin „Lokaltermin“ waren, hatte die Polizei das erste Mal etwas davon mitgekriegt. Und im Fernsehen hatten wir alles so gestellt, als wären wir schon jahrelang hier. So kam die Polizei nach der Sendung tatsächlich vorbei und wunderten sich, dass sie all die Jahre nie etwas davon mitbekommen hatten. Dabei war die politische Lage in Deutschland 1979 nicht einfach. Da wurde viel von Terrorismus geredet, da hatten Politiker Angst irgendwo hinzugehen. Uns war klar, diese Situation müssen wir erst einmal durchbrechen, wenn wir erfolgreich sein wollen. Und wir fingen an den Dialog zwischen Basis und Politik wieder aufzubauen.

Wir wollten nicht nur Leute sein, die kritisieren, sondern wir wollten zeigen, wie es besser geht. Also beispielhaft vorangehen und sich selbst mal verändern.
Unsere "Barrikade" am Anfang der Besetzung war keine Mauer mit Stacheldraht, sondern das Tor weit auf und ein Transparent "Herzlich willkommen!" Das ist ja gar keine richtige Besetzung, haben uns die Politiker fast zum Vorwurf gemacht, wo ist denn hier die Barrikade.(LACHT) So was hatte anscheinend vorher noch nie jemand so gemacht. Darauf haben wir gesagt, wir machen doch extra diese Action und das Tor weit auf, damit Ihr mal hinguckt. Unseren Antrag könnt Ihr sehen, riechen, schmecken, hören und fühlen, habt Ihr jemals einen besseren Antrag gekriegt? Bisher verschwanden unsere Anträge immer in Schubladen und Papierkörben. Das war nun nicht mehr möglich.
Wir wussten auch, wenn du in Deutschland zu dieser Zeit, Ende der 70er Jahre, etwas Neues anfängst und die Regierung kennt das nicht, dann wird erst mal draufgehauen, dass nichts mehr übrigbleibt, bevor man mal guckt, was draus geworden wäre. Uns war bewusst, wenn du in Deutschland etwas verändern willst, musst du erst mal was vorlegen und Taten sprechen lassen. Unbemerkt von der Presse hatten wir schon 1972 die Kommune gegründet, haben dann 1976 in der Kurfürstenstraße das Kulturzentrum "Fabrik für Kultur, Sport und Handwerk" eröffnet, was dann mit 500 Mitgliedern aus allen Nähten geplatzt ist. Dann sind wir mit Sack und Pack am 9. Juni 1979 auf unübliche Weise in die ufa gezogen. Unser Motto war „In einer Stunde der Tat, steckt mehr Wirklichkeit als in dem Gerede von Jahren.“
Wir haben den Politikern gesagt, es kann nicht nur das gemacht werden, was ihr von oben anordnet, weil Ihr da oben keine guten Ideen mehr habt! Die guten Ideen sind bei den Leuten, die letztlich die Arbeit machen, die Dinge entwickeln. Durch diese Offenheit haben wir es geschafft, ins Gespräch zu kommen- mit allen Parteien. Wir hatten keine Berührungsängste. Wir haben denen gesagt, wir sind Künstler, und wir sind die Brücken am Bauen, die andere in der Gesellschaft mit ihrem Arsch ständig Einreißen. -Das war zu dieser Zeit nur hier im multikulturellen West-Berlin möglich, woanders hättest du keine Chance gehabt.
Wenn ich mir West-Berlin zu dieser Zeit angucke, wie viele leerstehende Häuser von aktiven Menschen wieder belebt wurden, in jedem Hinterhof wurde Kultur gemacht, Workshops, Menschen haben sich miteinander beschäftigt.
Das ist ja das Größte überhaupt, dass Menschen sich aktiv kulturell beteiligen. Mit solchen Leuten kannst du eine Demokratie machen, mit denen kann man argumentieren, anderen schlagen zu, da hört die Demokratie auf. Deshalb hat sich die Menschheit die Kultur doch vor vielen 1000 Jahren ausgedacht, damit wir lernen mit unserer Ekstase schöpferisch umzugehen. Wie Ekstase negativ ankommt, hatte wir in Berlin schon vorher erlebt.
Wir West-Berliner haben uns immer überlegen müssen, was können wir tun, damit uns diese Ungerechtigkeit mit der Mauer nicht ständig im Alltag tangiert, wir nicht täglich mit schlechter Laune rumlaufen. Die verrücktesten Typen in Deutschland kamen ja deshalb extra nach Berlin, um mitzuhelfen so eine Situation durchzustehen. Ich bin ja selbst so einer. Wir haben fieberhaft überlegt, was können wir jeden Tag unternehmen, dass uns diese Ungerechtigkeit mit der Mauer nicht ständig abgetörnt. Und so entstanden in jedem Hinterhof Kulturzentren, Musik, Theater u.v.m.. Ich möchte das mal in einem wunderschönen Begriff ausdrücken: So entstand in West-Berlin „ein Biotop unter den Kulturlandschaften der Welt“. In keiner anderen Stadt war dies so möglich, wie in West-Berlin. Und nur hier in diesem West-Berlin konnte so etwas Einmaliges entstehen wie die ufaFabrik. Hier war der Geist für so etwas, das war unser Westberliner Überlebenskampf. Deshalb muss man dieses Biotop auch schützen, da es nur durch 40 Jahre Repression entstehen konnte. Mit keinerlei Milliarden hätte man das aufbauen können, das haben die Menschen nur für sich selber gemacht und ihre Stadt. Das ist unbezahlbar, was von den Menschen in West-Berlin kulturell geleistet wurde. Das könnte man als Beispiel für persönliches Engagement in die ganze Welt übertragen und nicht einfach wegsanieren, wie es heute oft unbewusst gemacht wird.
Wolfgang Neuss hat mal in einem Gedicht über die Mauer gesagt, „was der 2. Weltkrieg nicht geschafft hat, die Mauer hat's gebracht, die ekelhaftesten Leute haben die Stadt verlassen“. Und nun muss man halt überlegen, was ist, wenn die jetzt alle zurück kommen?
Die Trümmerfrauen möchte ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen. Sie waren ja die Basis von allem. Vor ihnen ziehe ich nicht nur meinen Hut, sondern mache eine tiefe Verbeugung. Manchmal glaube ich, in meinem vorigen Leben bin ich auch eine Trümmerfrau gewesen.
OL:
Hattest du den Eindruck, 1989 sei dir die Bettdecke weggezogen worden?
Juppy:
Nein, ich hab mich gefreut, ich hatte ja schon viele Freunde im Osten, mit denen ich gut zusammen gearbeitet habe. Und denen habe ich gesagt: ich komme jetzt zu Euch rüber, und sage: Donnerwetter! Sind wir doch ein gutes Stück reicher geworden, haben ein riesen Stück Land dazu gekriegt. Und Ihr müsst rüberkommen nach West-Berlin und geht ins KaDeWe und sagt: Mensch, guck mal hier, alles uns jetze! Wenigstens denken muss man das. Ich habe ihnen manchen guten Tipp gegeben, dass sie hier schneller Fuß fassen. Davon sind jetzt einige Bürgermeister geworden (LACHT) Ich habe denen gesagt, um schnell auf West Niveau zu kommen, da müsst ihr mindestens mal ein halbes Jahr in Amsterdam gelebt haben und ein Jahr in New York oder L.A., damit ihr mal seht, wie die für ihren Dollar schubbern. Wenn ihr dann zurückkommt, dann seid ihr gleich über westdeutschem Niveau vom Denken her. Haltet euch nicht nur an uns, da seid ihr immer nur die Schüler, ihr müsst eure eigenen Stärken entwickeln. Das waren meine besten Tipps, die ich ihnen geben konnte.
OL:
Ihr habt also hier auf dem Gelände nicht angefangen mit euren Erfahrungen, sondern das war schon praktisch und gedanklich in verschiedenen Institutionen vorbereitet worden?
Juppy:
Ja, hier wurde es dann nur richtig öffentlich. Wir mussten in die Offensive, denn unauffällig hätte man so ein Großes Gelände nicht betreiben können. Jetzt haben wir in 22 Jahren eine Menge neuer Erfahrungen gesammelt. Was man hier an Veranstaltungen sehen konnte und kann ist schon enorm: internationale Kultur-Festivals, wie die Mir-Caravane, spitzen Sommershows unterm Zeltdach, Varieté-Shows, wie den hauseigenen ufaCircus, der die Varieté Szene Berlins schon Anfang der 80-ger neu belebte, die 3 Tornados, College of Hearts, Familie Schmitt mit Lilo Wanders, Wolfgang Neuss, das Frankfurter Front Theater, die Sambaband „Terra Brasilis“, und viele junge Berliner Künstler, die in der ufaFabrik anfingen und heute in der Championsleague spielen, wie Daniel Reinsberg, Andreas Wessels, Markus Pabst, BMX-Frank, Tuan Le, Kurt Krömer und noch viele andere. Weiter betreibt die ufaFabrik eine Biobäckerei und einen Bio-Laden, damit auch jeder genau wie wir, die Chance hat sich gesund zu ernähren, denn „du bist, was du isst“, ist ein Motto von uns. In unser Nachbarschafts-Centrum und Freizeitbereich kommen in der Woche über 1000 Menschen. Das Problem heute in so einer grossen Stadt ist nicht die Frage, was mache ich im Urlaub, sondern täglich nach Feierabend, um 17 Uhr. Hier laufen Kurse das ganze Jahr in Tanz, Percussion und Budo. In unserem Nachbarnschafts-Centrum ist eine Geburtshilfe entstanden mit über 20 Hebammen, ein Familienpflegedienst und eine Sterbehilfe. Eine Erkenntnis dabei war, dass man das kulturelle Niveau einer Gesellschaft am besten daran messen kann, was wissen wir davon, wie einer auf die Welt kommt und wie er geht. Alles, was dazwischen liegt ist unser kulturelles Niveau. Da sehen wir, dass hier in Europa noch eine Menge zu tun ist. Das Leben ist wie eine gute Show, ein super Opening und ein super Finale. Wenn du zwischendrin mal einen Hänger hast, kannst du das immer mit einem super Finale wieder rausreißen. Beispielhaft wollten wir auch sein mit unseren Dächern. Dort haben wir Begrünung und eine der größten Solaranlagen Berlins –wir lassen die Sonne für uns arbeiten.- Aber das größte, was wir hier haben, das sind die Erfahrungen, die wir mit der Kommune, der Großfamilie gemacht haben. Diese 40 Menschen haben die ufaFabrik durch dick und dünn aufgebaut. Für mich sind meine Mitstreiter hier die wahren Helden, weil ich weiß, von Anfang an, was die alle investiert haben an Fantasie und ehrenamtlicher Arbeit, um dieses Gesamtkunstwerk aufzubauen. Und das Tollste ist, wir haben die modernste Organisationsform der Welt –die Gleichberechtigung. Da kann ich doch wirklich mal mit gutem Gewissen sagen, als Deutscher Junge - ich bin stolz darauf dabei zu sein.
Insgesamt hat die ufaFabrik über 200 Arbeitsplätze. Dazu gehört noch die Freie Schule mit ca. 40 Schülern, eine Grundschule bis zur 6. Klasse und ein Kinder Bauernhof mit Ponys, Schweinen, Frettchen, Kaninchen, Gänsen, Enten und Hühnern. Eben eine kleine Stadt in der Stadt. Besonders heute im Zeitalter der neuen Technologien und neuen Medien ist es in der Gesellschaft immer wichtiger für den Ausgleich zu sorgen. Was ist da besser als die Kultur, denn da habe ich mit Menschen zu tun. Da fällt dir dein Respekt vor dem Nächsten und der Natur wieder ein. Wenn die Entwicklung so weiter geht, wird es zu einer Blütezeit der Kultur kommen müssen. Oder soll die Welt untergehen? Was nützt es, du hast deinen PC, dein BMW vor der Tür, Kohle, du könntest eigentlich zufrieden sein und die Leute fangen an sich zu fragen, soll das alles gewesen sein? Ich hoffe, dass in Zukunft auch wieder mehr Menschen nach Menschen gucken, statt nach neuen Computerprogrammen.
OL:
Tempelhof B das stand nun zwar "Herzlich willkommen!", aber kam da auch jemand?
Juppy:
Klar, viele Nachbarn kamen vom ersten Tag an. Die anderen etwas später, haben erst einmal abgewartet, was daraus wird. Schließlich waren wir die Neuen, die sich einbringen wollten. Aber wir hatten gute Argumente. Mit unserer Bio-Bäckerei und dem ufaCircus konnten wir das bieten, wovon jede Regierung träumt – Brot und Spiele. Spätestens bei meiner gemischten Raubtiernummer mit 2 Hunden und 2 Polizisten, mussten sie lachen und haben die Angst verloren. Das war wie bei „der Name der Rose“.
Letztendlich war es einfach hier im Bezirk Fuß zu fassen, denn Tempelhof war damals als Kulturwüste ausgewiesen. Da war die Bevölkerung und die Politik froh, dass endlich mal was passierte. Als wir schon ein paar Jahre hier waren, kam ein Historiker, der hat gesagt, wir machen eine Analyse fürs Land Berlin, weil wir uns Sorgen um Tempelhof machen. In jeder westdeutschen Kleinstadt, in jedem Stadtbezirk Berlins, gibt es eine Frauenbewegung und eine Schwulenbewegung, nur in Tempelhof nicht. Und das gibt uns doch zu denken (LACHT).
OL:
Hier gab es eben keine Frauen und erst recht keine Schwulen...
Juppy:
Es hat sich vieles verbessert. Stell dir vor, damals hatte ich immer einen riesen Ärger wegen meinen langen Haaren, heute muss ich glatt einen Antrag beim Landeskonservator stellen, wenn ich mir mal die Haare schneiden lassen will. Die Zeiten ändern sich zum Glück.
Heute ist die Stadt stolz auf uns: Wir haben Tourneen gemacht mit Artisten und Terra Brasilis –Samba made in Berlin-, nach Osaka, nach Seoul, wir waren im Januar in Hongkong bei der Neujahrsparade und haben dort Berlin und Deutschland vertreten. Wir wissen, uns gut zu präsentieren. Denn das konntest du in der Stadt hier lernen. Wir waren in Berlin immer darauf angewiesen, unsere Gäste anständig zu behandeln, denn es war schwierig genug hierher zu kommen. Ich habe ja sogar unsere Zöllner an der Grenze anständig einarbeiten müssen: Anfang der 70er war es ja vom Osten her ziemlich hart an der Grenze. Sie haben dich gecheckt, gefilzt, rein in die Garage, alles auspacken usw. Ende der 70er, sagten die im Osten mit einem Mal: Schönen guten Tag, Ihren Ausweis, bitte! –Und noch einen kleinen Scherz hinterher: Waffen, Funkgeräte, Munition? - Nee, haben wir nicht!
Dann bist du zum Westen gekommen, da sitzt so ein Heini, hinter seiner Scheibe und sagt: Ausweis! Ich denke, ich hör nicht richtig und sag: Entschuldige, was ist?! -Ausweis!! B Ich sage: So nicht! – Er schreit: Fahr'n Sie rechts ran! - Und ich sage: nee, du, komm mal raus aus deiner Hütte! Da kam er raus und da habe ich ihm gesagt: Hör zu, ich muss dir eins sagen: Wir in West-Berlin müssen hart arbeiten, um gute Laune zu haben. Und auch unsere Gäste, die zu uns kommen haben es nicht einfach. Wir müssen 180 Kilometer fahren, damit man mal wieder frei rumlaufen kann. Hier, wo du stehst, hier fängt West-Berlin an. Und ich find es unerhört, dass unsere Gäste und wir selbst, auch noch von unseren Leuten respektlos behandelt werden! Wenn ich in West-Berlin ins Hotel Interconti gehe, weißt du, wie der Pförtner zu mir sagt? Tach, Juppy! Der liest Zeitung, Mann!! Und das Interconti ist so'n kleiner Popel von Berlin. Aber sie Mann, sie sind Pförtner einer Weltstadt. Mit einem Mal steht er da und sagt: nicht schlecht! Pförtner einer Weltstadt! Na, dann wünsch ich: Gute Fahrt!! B Wir haben uns als Freunde getrennt. Es ist einfach schrecklich, wenn der erste Deutsche, dem man begegnet ein unfreundlicher „Vollidiot“ ist. Da kann man doch sagen, „hallo, einen schönen guten Tag, ihren Ausweis, bitte!“ Der erste Deutsche an der Grenze sollte ein netter Typ sein. Da haben wir Berliner einiges mitmachen müssen
OL:
Zehn Jahre habt ihr ohne Subventionen durchgehalten?
Juppy:
Ja, die ersten Jahre haben wir gar keine Subventionen gewollt. Wir wollten
unabhängig sein und erst mal herausfinden, was wir selbst so drauf hatten. In der Zeit haben wir eine Anleihe gemacht bei Freunden und Bekannten, haben 500-DM-Scheine vergrößert, dem Typen da drauf noch >ne Clownsnase aufgesetzt. Da kamen in drei Monaten 240 000 Mark rein. Viele Menschen haben uns unterstützt.
Doch nach zehn Jahren haben wir gemerkt, dass unsere kulturellen und sozialen Aktivitäten uns ein Riesenloch in den Haushalt reißen. Damals war Volker Hassemer Kultursenator. Ich habe ihm gesagt, ich arbeite wie in New York, aber ich stelle fest, hier ist gar kein richtiger Kapitalismus! Unsere Konkurrenz wird 100%ig staatlich subventioniert, und wir möchten wenigstens so viel Unterstützung haben, dass diese Wettbewerbsverzerrung ausgeglichen ist. Wie soll man denn sonst da mithalten? Und seit dieser Zeit, noch kurz vorm Mauerfall, haben wir erreicht, dass wir mit einem Teil des Geländes, als „Internationales Kultur-Centrum ufaFabrik“ im Haushalt vom Land Berlin sind. Zum Glück hatten wir Freunde in allen Parteien, die den Wert der ufaFabrik erkannt haben.
OL:
Den Namen hat euch niemand streitig gemacht?
Juppy:
Am Anfang hat die Presse immer "die Leute vom ufaGelände" geschrieben, oder die Ufas. Der Name „Fabrik“ drohte unterzugehen. Da haben wir die elegante Kombination gemacht- Ufa-Fabrik. Nach acht Jahren kam der Kinoketten-König Riech und hat unseren Namen angefochten. Es gab eine Gerichtsverhandlung und da hat der Richter, ein Berliner Lokalpatriot, dem Riech gesagt: da hätten sie mal vor acht Jahren kommen sollen. Die ufaFabrik kann sich weiter ufaFabrik nennen, innerhalb und außerhalb Berlins. -Wir legen selbst grossen Wert darauf nicht allzu sehr mit der Ufa-Geschichte identifiziert zu werden, denn so rühmlich war die nicht. Uns reichen die Geister der alten Ufa, die hier zu Hause sind.
OL:
Da gab es ja durchaus auch nicht so glanzvolle Nebenaspekte!
Juppy:
Natürlich! Mit denen will ich gar nicht belastet sein.
OL:
Als Ihr hier anfingt B hatte man da bei Senatens nicht Angst, ihr würdet mit dem Klingelbeutel auftauchen?
Juppy:
Die hatten Angst. Aber wir kamen ja nicht! Man hatte uns sogar Geld angeboten, aber wir wollten das nicht. Das war natürlich kurios. So was hatte es in Deutschland ja noch nie gegeben! Dadurch haben wir auch die Politiker viel leichter kennen lernen können, weil wir ja nichts von ihnen wollten. Bestenfalls einen anständigen Mietvertrag. Darüber haben wir lange verhandeln müssen. Weil wir ja hier wie ein kleines Land sind, mit Kultur, Ökologie, Wirtschaft, Handwerk, Schulwesen, Gesundheit, Sozialwesen und vieles mehr, mussten wir immer mit fast allen Senatsabteilungen verhandeln. So waren wir aber immer kontinuierlich über die Entwicklung vom Parlament informiert. Inzwischen haben wir 8 Regierungen überlebt.
OL:
Wie hat der Bezirk reagiert?
Juppy:
Von der SPD-Seite ganz positiv, aber hier war immer eine CDU-Regierung. Die haben damals ein bisschen Angst vor uns gehabt. Es gab welche, die uns Knüppel zwischen die Beine werfen wollten. Im Lauf der Jahre sind denen dann die Argumente ausgegangen, weil wir mit unserer Arbeit überzeugt haben. Jetzt hat sich das total geändert. Unser größter Widersacher von damals, Dieter Hapel, der damals Chef der Jungen Union war, ist inzwischen Bürgermeister von Tempelhof-Schöneberg. Er hat im Lauf der Jahre, das sagt er selbst, das sag ich auch, dermaßen viel dazu gelernt, dass wir heute fast von einer Freundschaft mit unserem Bürgermeister sprechen können. Diese Entwicklung könnte schon fast beispielhaft für andere Bezirke in Berlin sein.
OL:
Was haben denn die anderen alternativen Zentren, Gruppen etc. zu der Tatsache gesagt, dass da Kollegen und Kolleginnen ihre Arbeit ohne Staatsknete machen? Da hätte man bei Senatens sagen können: Guckt mal, die Ufa-Leute tragen sich selbst, warum ihr nicht?
Juppy:
Wir sind überall aus dem Rahmen gefallen. Da waren wir immer etwas Besonderes. Weil, wir machen nicht nur irgendwie Kultur, sondern wir machen Kultur im Lebenszusammenhang, in der Gesellschaft. Damals haben wir im Bioladen, in der Bäckerei unser Geld verdient, um den Theatersaal zu renovieren. Da haben wir ja, wie schon erwähnt dazu gelernt. So wie wir zusammenleben und uns entwickeln sind wir viel schneller, weil wir eine Welt der kurzen Wege auf gebaut haben, damit kann man andere nicht vergleichen. Das wäre nicht fair. Dieses Einmalige, wie die ufaFabrik konnte nur in Berlin entstehen, denn da war der Geist, der Freiraum dazu.
OL:
Vielleicht würde Dir mancher aus Paris, London oder Rom jetzt widersprechen.
Juppy:
Das geht da nicht so schnell. Wir haben doch ganz anders aufgeräumt nach dem 2. Weltkrieg in unserem Elternhaus. Wir mussten ganz anders darüber reden, der Krieg, die Sauerei, wie wir mit den Juden umgegangen sind. Das musste verarbeitet werden. Leider nicht überall, aber in vielen Familien sind die Fetzen geflogen. Hier hat sich eine ganze Menge geändert, auch wenn immer noch „Ewig-Gestrige“ rumlaufen. Nehmen wir mal den Biomarkt, der ist ja auch mit in Berlin entstanden. 1976 haben wir angefangen, von Bauern aus dem Wendland, Bio-Lebensmittel nach Berlin zu transportieren und in Lebensmittelcoops zu verteilen. Damals war der Bio-Markt gleich Null in Deutschland. In vielen Dingen sind wir in Berlin anderen oft 10 bis 20 Jahren voraus. Hier ist ein Sammelbecken von vielen tollen Typen aus ganz Deutschland und aus aller Welt. Das zeichnet diese Stadt aus.
OL:
Was bist Du hier eigentlich, Dein Dienstgrad, Titel, Dein Hierarchen-Etikett?
Juppy:
Ich habe von einer Frauenzeitschrift mal den schönen Titel gekriegt: Multikulturimpressario.
OL:
Ein bisschen lang, aber hoch interessant.
Juppy:
Ja, aber letztendlich steckt da alles drin. Ich gebe zu, es klingt sehr gut, aber es stimmt. Ob internationale Shows, Kinderprogramme, Shows in Fußball Stadien, Demos, ich habe schon einiges gemacht, aber ich komme mir vor, als stünde ich am Anfang. Jeder Tag bringt neue Abenteuer und neue Aufgaben, die zu erledigen sind.
OL:
Wie sorgst Du für die Sauberkeit in Deinem Nest hier?
Juppy:
Das ist unser Nest. Da haben wir wenig Probleme, denn wir wohnen hier, es ist unser zu Hause. Da haben wir den Überblick und gelernt uns zu schützen. Hier bin ich der „Sheriff“. Außerdem haben wir ständig Veranstaltungen. Menschen, die hierherkommen, um sich zu erholen und Spaß zu haben. Wenn ich Gäste einlade und noch Eintritt verlange, da sollte es auch sicher und sauber sein. Wir sind einigermaßen organisiert auf diesem Gebiet.
Auch sind wir immer noch spontan in der Lage, dadurch, dass wir eng zzusammensitzen Fehler schnell zu korrigieren, während andere Institutionen da länger brauchen wieder umzudrehen. Wir haben uns unseren revolutionären Touch erhalten. Denn unter Revolution darf man nicht Angst und Schrecken verstehen. In Deutschland verstehen die meisten unter Revolution, ich mache meinen Kleiderschrank auf, hole die Kalaschnikoff raus und meine rote Fahne, lauf auf die Straße und schieße wild um mich. Das ist natürlich Unsinn! Unter Revolution versteh ich heute, schleunigst die gesellschaftlichen Verhältnisse der modernen Zeit anzupassen. Wenn du siehst, wie sich in der Welt alles dreht, jetzt mit den Computern und dem Internet, und ich mir dann überlege, dass wir ein Schulsystem haben, was die alten Preußen erfunden haben und das heute noch angewendet wird, das ist furchtbar. Da sollten wir aufpassen, dass wir nicht in fünf oder zehn Jahren nach Seoul oder Osaka in den Bildungsurlaub fahren müssen. Was bedauerlich wäre. Obwohl, man sollte ja auch mal ein bisschen rumkommen in der Welt (LACHT).
Eine Sache möchte ich am Schluss noch erwähnen. Es war falsch 95 die Berlinhilfe zu streichen. Wo war denn einmal der Standortvorteil, nur weil die Mauer weg war. Früher standen wir eine Stunde an der Grenze, heute stundenlang im Stau. West-Berlin wäre der einzige Abstürtzer der Deutschen Einheit gewesen. Kein Wunder, dass Berlin so hoch verschuldet ist. Da machen die Westdeutschen uns zur Hauptstadt, sagen, ihr seid die Nr.1, aber wo sind wir denn die Nr.1. Wir sind in Berlin die Hauptstadt der Zweigstellen. Wenn du wirklich mal einen Sponsor finden willst, da musst du zur Hauptstelle nach Paderborn, nach Münster, nach Stuttgart. Die Deutsche Bank ist auch mal in Berlin gegründet worden. Aber warum steht der Tresor in Frankfurt? Weil man nach dem Krieg dachte, wenn wir den nicht schnell nach Frankfurt schaffen, steht der übermorgen in Moskau. Wir haben noch viel wiederzuvereinigen in Berlin. Aber das ist das Schöne daran, wir haben hier schon schlimmeres erlebt. OL:
Lieber Juppy B West-Berlin dankt dir für dieses Gespräch!