Pansori „Heungboga“
Komplette Aufführung mit Frau Yoo Soo-jeong - Koreanisches Nationaltheater Seoul - Gesang
und Herrn Cho Yong-soo, Faßtrommel Buk
Pansori
Pansori, das man etwas trocken als epischen Gesang bezeichnet, ist eine musikalisch-literarisch-theatralische Kunst, die es im Verlauf seiner Geschichte über alle sozialen Schranken hinweg von einer derben Wochenmarktbelustigung zur höchsten Anerkennung und bis in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO geschafft hat.
Die Grundsituation kann kaum „ärmer“ sein: ein Sänger singt und erzählt abwechselnd, ein Trommler begleitet ihn. Dennoch, wenn man in Korea in der Pause einer der zumindest in Seoul selten gewordenen kompletten Pansori-Aufführungen den Leuten lauscht, wie sie über die Aufführung reden, könnte man glauben, sie hätten eine große Oper oder einen Monumentalfilm in Cinemascope und 3D mit Dolby Surround gesehen, so sehr hat die Kunst des Sängers ihre Phantasie entfacht.
Es ist kein Theater, denn der Sänger stellt die Figuren der Geschichte nicht dar, sondern er gestaltet mit allen dieser Kunst typischen virtuosen stimmlichen und gestisch-mimischen Mitteln die Erzählung auf farbigste und interessanteste Weise. So könnte man es ein „Theater des Erzählens“ nennen. Die Geschichte ist dieser Darbietungsform angepaßt: Alles Geschehen wird im Präsens erzählt und so in die direkte Gegenwart des Erlebens gezogen, die Ansprache ans Publikum ist direkt und der Wechsel (oder die langgezogene Entwickung) der Stimmungen ist auf größtmögliche Wirkung hin gearbeitet. Die einzigen Requisiten, sind ein Fächer in der rechten und ein Schweißtuch in der linken Hand des Sängers, und ein Tischchen mit einer Flasche Soju (Reisschnaps) oder Makkoli (Reisbier) sollte ebenfalls vorhanden sein, um dem Sänger hin und wieder ein Luftholen zu gestatten, denn eine Aufführung kann, je nach Stück und Version, bis zu acht Stunden dauern. („Heungboga“ ist ein eher kurzes Pansori und dauert knapp zwei Stunden).
Die Trommelbegleitung erscheint dem westlichen Zuhörer spontan dem Affekt folgend, es sind aber komplexe und lange Rhythmusmuster namens Jangdans, die dem jeweiligen Abschnitt angemessen sind. Es wird genau unterschieden, ob mit dem Trommelstock in der rechten Hand auf das Fell oder auf den Korpus geschlagen wird, oder ob die linke Hand einen dumpfen Schlag auf das linke Fell ausführt. Außerdem gibt der Trommler ermunternde und lobende Zurufe von sich, um den Sänger bei Laune zu halten. Diese Aufgabe hat auch jener Teil des Publikums, der dessen kundig ist. Die Chuimsae, Ausrufe wie „Eolssigu! (Gut gemacht)“, „Jodta! (gut!) oder „Jochi“ (schön!) sind für den Sänger während der langen Aufführung wichtig, um seinen Adrenalinspiegel hoch zu halten.
Die wichtigsten Jangdans, mit denen der Trommler den Sänger rhythmisch kontrolliert, sind das recht universelle Jungmori mittleren Tempos, das rasche Jajin- und das rasende Huimori, die heitere und turbulente Szenen begleiten, oder das traurigen Gesängen und lyrischen Beschreibungen vorbehaltene sehr langsame Jinyangjo.
Von ehemals 12 Pansoris sind heute noch 5 übriggeblieben. Verlorengehen konnten die anderen schlicht durch den Mangel an Nachfrage, sodaß sich die jahrelange Mühe der auch heute noch so praktizierten rein mündlichen Überlieferung nicht mehr lohnte. Es gibt keine Noten und keine wirklich gültigen Textbücher. Wenn ein Schüler von seinem Meister ein Pansori gelernt hat, also wenn er jede stimmliche Komplikation, jeden Ausdruck, jede Geste, selbst jede Nebenbemerkung in den Erzählteilen, die sich regelmäßig mit den Gesängen abwechseln, angenommen hat und sich in zahlreichen Aufführungen dieser Fertigkeiten versichert hat, mag er anfangen, Änderungen anzubringen und eventuell sogar neue Gesänge einzufügen, was heute aber eher selten ist.
Über die Anfänge des Pansoris, das eng mit dem Gesangsstil der südlichen Provinzen Jeolla und Gyeongsang verbunden ist, gibt es keine Aufzeichnungen, nur Vermutungen. Diese von den Gelehrten ehemals verachtete Kunst wurde erstmals 1754 erwähnt, als die Pansori-Kunst bereits weit entwickelt war. Vorformen des Pansoris waren Teil der Schaustellerattraktionen auf Märkten, möglicherweise bereits im 10.Jahrhundert. Pansori-Sänger sollen die Ehemänner von Schamaninnen gewesen sein, die so aus dem Schatten ihrer Ehefrauen heraustreten wollten…
Alle fünf heute noch gesungenen Pansoris sind Prototypen der Gattung: „Chunhyangga“ ist ein realistisches, sozialkritisches Liebesdrama, „Simcheongga“ ein rührendes Märchen über Armut und selbstlose Elternliebe; „Jeokbyeokga“ ist eine historische Kriegserzählung aus der Zeit der chinesischen Drei Reiche; „Sugungga“ eine Tierfabel über fragwürdige Königstreue, eine groteske Komödie. Alle sind überaus aufregend und vereinigen komische und tragische Elemente in sich.
„Heungboga“ als das kompakteste und geradlinigste unter den fünf Pansoris erzählt in gleichnishafter Weise die Geschichte vom guten und bösen Bruder, und wie Einsicht und Demut über Starrköpfigkeit und Hochmut obsiegt.
Die Handlung: Dem geschäftstüchtigen Nolbo mißfällt die Gegenwart seines faulen Bruders Heungbo sehr, dessen Familie so rasch wächst, und jagt ihn aus dem Haus und damit in eine für die noble Klasse, der sie angehören, gänzlich ungewohnte und tiefe Armut. Alle Versuche Heungbos, zu Geld zu kommen oder den Bruder zu erweichen, scheitern. Die Prophezeiung eines Bettelmönchs leitet eine langsame Wende im Geschick ein, und als der mitfühlende Heungbo eines Tages einer jungen Schwalbe, die vom Dach gefallen ist, die Beine schient und sie gesundpflegt, dankt diese es ihm im nächsten Jahr durch einen besonderen Kürbissamen, dessen Frucht das ganze Lebensglück Heungbos entsteigt…
Matthias R. Entreß
Die pausenlose Aufführung – Dauer ca. 2 Stunden - wird simultan mit der kompletten Übersetzung des Gesangstexts übertitelt.
Die Künstler
Yoo Soo-jeong
Die Pansori-Sängerin Yoo Soo-jeong, die heute am Koreanischen Nationaltheater Seoul (NTOK) engagiert ist, und dort auch die Teamleiterin der Gesangsabteilung ist, ist seit Abschluß Ihrer Ausbildung an der Chugye-University of the Arts offizielle Bewahrerin des Immateriellen Kulturgutes Pansori. Die beiden Pansoris Heungboga und das 6-stündige Chunhyangga gelten als ihre Glanzstücke und hat mit Komplettaufführungen dieser Stücke große Beachtung gefunden. Als Ensemblemitglied des NTOK ist sie auch in Hauptrollen von Changgeuk-Produktionen aufgetreten (Changgeuk ist die vor etwa 100 Jahren entstandene Theaterversion der epischen Gesänge Pansori). Sie ist Trägerin des Präsidentenpreises 2005 und des Preises des nationalen Rundfunksenders KBS 2006.
Die Kunst des Pansorisängers oder der -sängerin ist, durch virtuosen Gesang und starke Affekte, aber vor allem durch eine direkte Ansprache das Publikum immer aufmerksam zu halten. Die Stimmtechniken beim Pansori vermeiden den klaren hellen Ton, sondern gestalten das ganze Spektrum menschlicher Emotionen mit allen Mitteln, die die Kehle bietet, mit Rauhheit, Falsettieren, heulend, juchzend… Alle Melodien, Affekte und Stilmittel sind Gegenstand mündlicher Überlieferung und aufs Genaueste vom jeweiligen Meister übernommen und dann an die eigenen Schüler weitergegeben. Das Pansori „Heungboga“ singt Yoo Soo-jeong in der sogenannten Manjeong-Version, der Version der berühmten Pansori- und Volkslied-Sängerin Kim So-hee (1917-95)
Cho Yong-Soo
ist ausgebildeter Kosu, das ist der Trommelbegleiter beim Pansori, und besitzt das Diplom des Bewahrers des Immateriellen Kulturguts Pansori-Begleitung. Er wurde an der Graduiertenschule der Chung-Ang Universität ausgebildet und gewann den Trommel-Wettbewerb beim Präsidentenpreis 1998. Beim NTOK ist er sowohl als Kosu bei authentischen Pansori-Aufführungen, als auch als Orchestermitglied im Orchester traditionelle Instrumente, z.B. bei Changgeuk-Aufführungen beschäftigt.
Die besondere Aufgabe des Kosu besteht nicht nur darin, die langen Rhythmusmuster (Jangdans) beim Pansori und auch beim Sanjo, einer instrumentalen Solomusik, aufrechtzuerhalten, sondern auch, der Sängerin erster Zuhörer zu sein, sie in den mitunter mehrstündigen Aufführungen zu bestätigen und anzufeuern. Obwohl die Faßtrommel Buk ein sehr einfaches Instrument ist, das rechts mit einem dicken Holzschlegel, links mit der flachen Hand geschlagen wird, sind die Rhythmen, angewendet auf die verschiedenen Schlagtechniken und ihre Kombinationen überaus komplex, durchaus vergleichbar mit den Rhythmen der indischen und arabischen Musik. Es bleibt zwar dem Trommler überlassen, inwieweit er die Rhythmen ausspielt oder nur andeutet, dennoch kann hier nicht von Improvisation gesprochen werden.
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